Josef Gredler

06  Frühstück in Florenz

 

    Es ist noch zeitig am Morgen. Wir haben mit unserem Auto Florenz erreicht, ehe die Touristenströme die Straßen füllen. Florenz ist erst beim Erwachen. Wir gehen durch eine Seitengasse, deren Namen ich mir nicht merken werde und die überhaupt nicht nach Florenz, wie wir es kennen, aussieht. In unserer Vorstellung von Florenz fehlt diese Gasse völlig, dabei gibt es unzählige von ihnen in dieser Stadt, die wir als Wiege der Renaissance bezeichnen und die am Zenit ihrer Geschichte vielleicht die bedeutendste Stadt überhaupt war. Man begeht solche Gassen, die etwas ungepflegt und vernachlässigt  wirken und von deren Häusern an manchen Stellen schon der Putz abgebröckelt ist, als Besucher auch nur, um schneller von A nach B zu gelangen, als Abkürzung sozusagen oder weil man sich verlaufen hat. Wir wollen zur Piazza Santissima Annunziata und in die gleichnamige Verkündigungskirche. Da wir noch nicht gefrühstückt haben, kehren wir in eine Bar ein, mit der wir in dieser Gasse gar nicht gerechnet haben. Aber da sie nun schon mal auf dem Weg liegt und einen recht vertrauenswürdigen Eindruck macht, wollen wir mit unserem Hunger nicht bis zur Via dei Servi warten, wo es genügend einladende Bars und Cafeterien geben würde, sondern kehren hier ein und bestellen „Caffè” und „Cornetti", wie das auch die Einheimischen zu tun pflegen.  Draußen stehen in einem Gemäuerwinkel ein paar Tische mit Sessel, ohne jede Ordnung, auch nicht sehr einladend, aber doch einigermaßen bequem.

    Bei jedem Biss in das Cornetto aus Blätterteig fallen einige Krümel zu Boden. Das ist einer Taube offensichtlich nicht verborgen geblieben, vermutlich kennt sie dieses Szenario schon längst und sie spaziert eilig daher und dann in aller Ruhe zwischen unsere Beine und denen des Tisches und pickt ohne jede Scheu, aber hastig diese Krümel auf, ihr Frühstück sozusagen. Da landet nur wenige Meter von uns entfernt ein Spatz auf einem kleinen Mauervorsprung und sieht, wie sich da die Taube gütlich tut an den Krümeln, die von unseren Hörnchen zu Boden fallen. Aber er schaut nicht lange, sondern flugs macht auch er sich daran, sich sein Frühstück unter unserem Tisch zu besorgen. Die Taube dreht sich kurz um, sieht den frechen Eindringling, der sich an ihrem Frühstück beteiligt, zögert nicht lange und rennt dem Spatz entrüstet hinterher. Dieser läuft, ohne dass er sich sonderlich erschreckt, eilig davon. Als ihm die Taube, doch erheblich größer als er, zu nahe kommt, nimmt er seine Flügel zu Hilfe und landet wieder auf seinem sicheren Mauervorsprung. Für die Taube scheint damit die Sache geklärt und erledigt zu sein, nicht so für den Spatz. Der schaut aus sicherer Entfernung von seinem Platz auf der vorspringenden Mauer auf das Objekt seiner Begierde, Blätterteigkrümel, die da am Boden liegen. Er wagt es noch einmal und will dieses Frühstück am Boden nicht einfach der Taube überlassen.  Diesmal scheint die Entrüstung der Taube ob solcher Frechheit noch größer als vorher. Schneller und erboster als zuvor jagt sie dem Eindringling hinterher und der muss diesmal seine Flügel früher zu Hilfe nehmen. Wieder sitzt er, der Gefahr entronnen, auf der Mauer und schaut herüber, dabei gilt sein Blick nicht uns, sondern dem, was von uns, besser, von unserem Tisch abfällt. Und er wagt es ein drittes Mal. Fast könnte man glauben, er wolle die Taube mit Absicht ärgern. Alles wiederholt sich wie beim ersten und zweiten Mal, nur noch heftiger und noch energischer. Der Streit eskaliert richtig. Inzwischen haben wir den letzten Bissen von diesem Blätterteiggebäck gegessen, die Tassen geleert, bezahlen nur vier Euro, es ist ja wirklich eine Seitengasse außerhalb jeder touristischen Aufmerksamkeit und Anziehungskraft. Wie der Streit zwischen Taube und Spatz geendet hat, wissen wir nicht, vermutlich haben die ausbleibenden Blätterteigkrümel den Konflikt zwar nicht gelöst, aber doch beendet. Auf uns wartet Santissima Annunziata.

 

© Josef Gredler