Josef Gredler

Advent ist Begegnung Gottes mit den Menschen

 

     In den Tagen und Wochen des Advents, die dem Weihnachtsfest vorausgehen, sollen Christen sich auf die Ankunft Gottes in dieser Welt vorbereiten, die vor rund zweitausend Jahren, wie uns der Evangelist Lukas berichtet, in einem Viehunterstand in Betlehem schon Wirklichkeit geworden ist. Gott ist Mensch geworden, von einem Mädchen aus Nazaret geboren, wie es der Engel ihr verheißen hat. Er ist in diese Welt gekommen, wie niemand es sich auch nur vorzustellen gewagt hätte. Die armseligen Umstände seiner Ankunft werden wir nie begreifen, sie werden immer ein Geheimnis bleiben. Aber Gott ist angekommen, als Mensch in dieser Welt, bei uns – mit dem alles menschliche Begreifen übersteigenden Plan, den unheilvollen Lauf unserer Geschichte in eine Heilgeschichte zu wenden. Ende dieser adventlichen Tage feiern wir dann wie jedes Jahr das Fest seiner Geburt, dessen dramatische wie armselige Ankunft wir in anrührender Idylle darstellen, die auch jenen zu Herzen geht, denen diese Ankunft fremd ist oder nichts bedeutet. Aber die Wirklichkeit der Not der äußeren Umstände dieser Ankunft übertrifft alles, was Menschen in rührseliger Ausgestaltung dieses Festes glauben, hoffen, ahnen.

     Kein anderes Fest feiern und gestalten wir mit so großem emotionalem Aufwand, mit einer so intensiven Beteiligung aller Sinne und des Gemüts. Das Geheimnis keines anderen Festes ist so von verzerrendem Kitsch und erdrückendem Kommerz bedroht. Wenn das Fest da ist, feiern wir es in gewohnter, vertrauter Weise, vielleicht nur oberflächlich mit unseren Sinnen oder mit inwendiger Tiefe. In Jesus ist Gott angekommen in der Geschichte, in meinem Leben, aber bin ich bei ihm angekommen? Advent meint auch mein Ankommen bei ihm, meine Bewegung auf ihn hin. Jeder Tag im Advent möchte mich einen Schritt näher zu ihm führen. Ich soll aufbrechen nach Betlehem in mir, zu jenem Kind, das aus einer jungen Frau geboren wird und doch Gottes Sohn ist. All das übersteigt unser Verstehen völlig. Wir können dieses Geheimnis vergeblich zu ergründen suchen oder es verwerfen oder annehmen wie ein Kind, bereit zu glauben, dass es Geschehnisse gibt, die wahr sind, auch wenn wir sie nicht verstehen. Wenn ich wirklich dorthin aufbreche, damit auch ich ankomme, wo Gott als Mensch zu uns, zu mir kommt, darf ich darauf vertrauen, auf diesem Weg geführt zu werden – von einem inneren Wegweiser, einem inneren Stern, von einer Regung des Herzens oder Eingebung des Geistes?

     Aber wenn wir zu Weihnachten nach vielen vergeblichen Adventtagen nicht ankommen an diesem Viehunterstand, bei diesem Kind, das uns Propheten als Retter und Erlöser geweissagt haben, dann finden Advent, Weihnacht, Gottes Ankunft in uns nicht statt. In der ersten Strophe des Adventliedes von Philipp Nicolas aus dem Jahr 1599 „Wachet auf!“ (neues Gotteslob 554) heißt es in der ersten Strophe kurz und treffend „Ihr müsst ihm entgegengehen“.  Dieses Lied bezieht sich weniger auf den vorweihnachtlichen Advent als viel mehr auf den Advent Christi am Ende der Zeit, um zu richten, zurechtzurichten, ins rechte Lot zu bringen und die Schöpfung zu vollenden.

     Aber das Kommen Jesu damals und sein Wiederkommen am Ende der Zeiten gehören unabdingbar zusammen. Auch sein Kommen in unser tägliches Leben, sein Ankommen heute im Mitmenschen oder wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, sein ganz ausdrückliches Kommen in den Sakramenten… Angelus Silesius, deutscher Lyriker, Theologe und Mystiker des 17. Jahrhunderts, hat das so formuliert: „Und wäre Christus tausendmal in Betlehem geboren, aber nicht in dir, dann…“ wäre alles vergebliche göttliche Liebesmüh. Sein Kommen in unsere Welt, in unser Leben, geschichtlich in der Weihnacht damals schon wahr geworden, sein Kommen heute in unsere tägliche Gegenwart, sein Wiederkommen am Ende der Geschichte bedarf unserer Antwort, dass wir ihn erwarten, ihm entgegengehen, bei ihm ankommen. Advent ist der Schnittpunkt göttlicher und menschliche Aufeinanderzubewegung, Advent ist das Ankommen Gottes beim Menschen, das Ankommen des Menschen bei Gott, die Begegnung Gottes mit den Menschen.

 

© Josef Gredler